Die Leckerbissen zuerst: Bakterien haben einen Menüplan beim Abbau von Algenblüten

Forschung
Die Co-Autoren Dörte Becher und Thomas Schweder von der Universität Greifswald vor dem in dieser Studie verwendeten Massenspektrometer. © Institut für Mikrobiologie, Universität Greifswald / D. Becher
Die Co-Autoren Dörte Becher und Thomas Schweder von der Universität Greifswald vor dem in dieser Studie verwendeten Massenspektrometer. © Institut für Mikrobiologie, Universität Greifswald / D. Becher

Die jährlichen Algenblüten in der Nordsee sind wichtig für unser Klima, denn sie entziehen der Atmosphäre große Mengen an Kohlendioxid. Sie sind jedoch kurzlebig. Wenn die Algen absterben, wird der meiste Kohlenstoff ins umgebende Meerwasser abgegeben. Dort warten bereits Bakterien darauf, sich darüber herzumachen und die Algenreste zu verzehren.

In früheren Studien wurde nachgewiesen, dass bei diesen Blüten von Jahr zu Jahr unterschiedliche Algenarten die Oberhand gewinnen können. Bei den Bakterien, welche die Algen wieder abbauen, herrschen dennoch alljährlich dieselben spezialisierten Gruppen vor. Offenbar bestimmen nicht die Algen selbst, sondern ihre Bestandteile – vor allem Ketten von Zuckermolekülen, die sogenannten Polysaccharide – welche Bakterien gedeihen. Die Details der bakteriellen Reaktion auf das Algenfestmahl sind bis heute nicht vollständig verstanden.

Metaproteomik: Bakterielle Proteine en gros untersuchen

Deshalb hat Dr. Thomas Ben Francis nun zusammen mit Forschenden des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie Bremen, der Universität Greifswald und des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen einen genaueren Blick auf das Innenleben der Bakterien geworfen. „Wir entschieden uns für eine Methode namens Metaproteomik, bei der wir alle Proteine in einer mikrobiellen Gemeinschaft, in unserem Fall im Meerwasser, untersuchen“, erklärt Francis. „Dabei interessierten wir uns ganz besonders für Transporterproteine. Deren Aktivität ist entscheidend, um die Aufnahme der Algenzucker in die Bakterienzellen zu verstehen.“ Die metaproteomischen Daten zeigten, dass sich die Transporterproteine im Laufe der Zeit deutlich veränderten. „Verschiedene Transporterproteine sind vermutlich für die Aufnahme verschiedener Zucker zuständig. Wir sahen eine klare Veränderung dieser Proteine im Laufe der Zeit“, so Francis weiter. „Das weist darauf hin, dass sich die Bakterien zu Beginn hauptsächlich auf die 'leicht abbaubaren' Substrate, wie Laminarin und Stärke, konzentrieren. Später greifen sie die 'schwerer abbaubaren' Polymere an, die aus Mannose und Xylose bestehen.“

Ein Zucker nach dem anderen

Mit anderen Worten: Die Bakterien nehmen zuerst den leichten Weg. Erst wenn die Leckerbissen verzehrt sind, machen sie sich über die zähen Brocken her. Wann geht dieser Wandel vonstatten? Ben Francis und seine Kolleginnen und Kollegen sehen zwei mögliche Auslöser: Entweder werden die zähen Brocken immer attraktiver je mehr der Wettbewerb um die leichten Nahrungsquellen zunimmt, weil sich die Bakterien in dieser üppigen Umgebung schnell vermehren und damit die Zellzahlen steigen. Oder aber es hängt mehr von den Algen ab: Wenn die Algenblüte zusammenbricht und immer mehr Algen sterben, sammeln sich mehr 'schwer verdauliche' Reste an, die dadurch zu einer effizient nutzbaren Nahrungsquelle werden.

Obwohl die Forschenden aus Bremen und Greifswald die Dynamik von Algen- und Bakterienblüten in der Nordsee schon lange untersuchen, war dieser zeitliche Verlauf bisher unentdeckt geblieben. „Durch die Kombination modernster Proteomik-Techniken mit Probenvorbereitungsmethoden, die speziell auf die hohe Komplexität dieser sehr anspruchsvollen Proben zugeschnitten sind, konnten wir einen der umfassendsten Proteom-Datensätze mit mehr als 20 000 Proteingruppen erstellen. Diese Daten zeigten, dass sich die Substratspezifität der Transporterproteine im Laufe der Zeit verändert. Diese Veränderungen waren in dem entsprechenden metagenomischen Datensatz, an dem die Vielfalt der Bakterien untersucht wurde, nicht sichtbar“, sagt Prof. Dr. Dörte Becher vom Institut für Mikrobiologie der Universität Greifswald. „Das zeigt deutlich, dass wir sehr tief graben müssen, um die zugrundeliegenden ökologischen Prozesse zu verstehen, die den marinen Kohlenstoffkreislauf steuern.“ Die Quantifizierung von Transporterproteinen könnte also ein wichtiges Stück zur Lösung des hochkomplexen Puzzles des marinen Kohlenstoffkreislaufs sein.

Kombination von Methoden ermöglicht neue Einblicke

„Diese detaillierte 'meta-proteogenomische' Studie vereint die außergewöhnliche Expertise der Universität Greifswald, Proteine in komplexen Umweltproben zu identifizieren und quantifizieren, mit unserer Expertise in der molekularen mikrobiellen Ökologie“, betont Prof. Dr. Rudolf Amann, Co-Autor der Studie und Direktor des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie in Bremen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das komplexe heterotrophe Mikrobiom der Nordsee auf zweierlei Art auf Algenblüten reagiert: Einerseits verändern sich infolge des wechselnden Nahrungsangebots die Bakterienarten nach einem wiederkehrenden Muster, andererseits verändert sich aber auch die Expression von Transporterproteinen und Abbauenzymen deutlich.“ Letztendlich wird es die Kombination verschiedener Methoden sein, die unser Wissen über die Moleküle, enzymatischen Reaktionen und Raten, die dem marinen Kohlenstoffkreislauf zugrunde liegen, voranbringen wird. Und das ist eine wichtige Voraussetzung, um den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre vorherzusagen und zu managen.

Weitere Informationen

Werfen Sie einen Blick hinter die Kulissen in dem Blogpost von Ben Francis (nur auf Englisch).

Originalveröffentlichung: T. Ben Francis, Daniel Bartosik, Thomas Sura, Andreas Sichert, Jan-Hendrik Hehemann, Stephanie Markert, Thomas Schweder, Bernhard M. Fuchs, Hanno Teeling, Rudolf I. Amann, Dörte Becher (2021): Changing expression patterns of TonB-dependent transporters suggest shifts in polysaccharide consumption over the course of a spring phytoplankton bloom. The ISME Journal 2021
DOI: https://doi.org/10.1038/s41396-021-00928-8

Die Fotos sind abrufbar unter:
https://www.mpi-bremen.de/Page5132.html

Beteiligte Institutionen
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, 28359 Bremen
Institut für Pharmazie, Universität Greifswald, 17487 Greifswald
Institute of Marine Biotechnology e. V., 17489 Greifswald
Institut für Mikrobiologie, Universität Greifswald, 17487 Greifswald
MARUM, Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen, 28359 Bremen

Kontakt

Dr. T. Ben Francis
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon 0421 2028 9660
tfrancismpi-bremende

Prof. Dr. Rudolf I. Amann
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon 0421 2028 9300
ramannmpi-bremende  

Prof. Dr. Dörte Becher
Institut für Mikrobiologie, Universität Greifswald
Telefon 03834 420 5903
dbecheruni-greifswaldde

Dr. Fanni Aspetsberger
Pressesprecherin
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
Telefon 0421 2028 9470
faspetsbmpi-bremende  

 

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