Greifswald goes International

Charlotte Reinicke

Studium in Greifswald

Humanmedizin

Aktivität im Ausland

Teil-Tertial der Inneren Medizin im University Hospital of Wales

Zeitraum

06/2024 – 08/2024

Wieso ich ins Ausland gegangen bin?

"Der Reiz, Medizin in mehreren Sprachen praktizieren zu können, hat mich dazu veranlasst, ein Teil-Tertial meines Praktischen Jahres in einem englischsprachigen Land zu absolvieren. Großbritannien ist mir bereits vertraut, und ich mag die Kultur, das Land und die Menschen sehr. Von meinem Tertial hier erhoffe ich mir nicht nur einen sichereren Umgang mit dem Fachenglisch, sondern auch einen vertieften Einblick in den National Health Service (NHS). Besonders schätze ich die britische Lernendenorientierung, die durch Freundlichkeit, flachere Hierarchien, Praxisorientierung und hohe Kommunikationsfähigkeit geprägt ist."

Mein Aufenthalt im Universitätsklinikum in Wales

Während meines Praktischen Jahres hatte ich die Gelegenheit, einen Teil meines Innere Medizin-Tertials in der Notaufnahme der Universitätsklinik Cardiff in Wales zu absolvieren. Dank des weiterhin bestehenden Erasmus-Programms zwischen der Universität Greifswald und der Universität Cardiff gestaltete sich die Organisation sehr einfach und unkompliziert. Diese Erfahrung war nicht nur lehrreich, sondern auch spannend und inspirierend. Das University Hospital of Wales in Cardiff ist das größte Krankenhaus in Wales, und die Notaufnahme versorgt täglich rund 500 Patientinnen und Patienten.

Erste Eindrücke und Arbeitsalltag

Begrüßt wurde ich am ersten Tag von einer der Consultants mit den Worten: „The most important thing is that you feel comfortable, my Love“. Gibt es einen besseren Start?!

Kurze Übersicht: die Notaufnahme ist in verschiedene Bereiche unterteilt:

  • Ambulatory Care Unit (ACU): In diesem Bereich werden Patient behandelt, die nicht ins Krankenhaus aufgenommen werden müssen. Das Ziel ist es, unnötige Einweisungen zu vermeiden.
  • Major: Für schwerere Fälle, sowohl internistische als auch Trauma-Patient
  • Resus: Für kritische Patient, die intensiv überwacht werden müssen
  • Minor: Für Patient mit kleineren chirurgischen Verletzungen, die meistens durch Nurses versorgt werden.
  • Paediatric Emergency: das ist die Kinder-Notaufnahme

Ich bin im Laufe meines Aufenthalts durch alle Bereiche - bis auf Minor und Paediactrics - rotiert, um einen umfassenden Einblick in die Abläufe der internistischen Notaufnahme zu bekommen.

Praktisch und sofort positiv aufgefallen ist die elektronische Patientenakte. Hier kommen die Patienten ins Krankenhaus und ich kann die komplette Medizin-Historie der letzten Jahrzehnte sehen, alte Röntgen- und CT-Bilder. Das spart enorm viel Zeit und ist transparent.

Überraschend hingegen war für mich die Tatsache, dass es deutlich weniger Desinfektionsmittelspender gibt als in Deutschland und sich eher die Hände gewaschen werden. Außerdem werden hier Einweg-Stauschläuche verwendet. Die "Elastics", die wir in Deutschland haben, sind hier aufgrund der Bakterienlast nicht zugelassen. Statt Spraydesinfektion werden alkoholische Mini-Feuchttücher verwendet, deren Verpackung an Kondompackungen erinnern. Und das English Red Cross kommt morgens 2x zur Runde mit Sandwiches, Tee und Kaffee für alle PatientInnen und ÄrztInnen vorbei. Welcome to the NHS.

Was tatsächlich doch noch echt anders ist und vielleicht ganz interessant: Es gibt viel mehr Kasack-Farben und niemand trägt weiß. Außer mir. Die ÄrztInnen tragen hier alle schwarz, außer die Oberärztinnen. Die tragen lila und Studis tragen grau und mein „very wite“ Kopf-bis-Fuß Outfit wurde fast in jeder Schicht kommentiert. Was auf deutsch frei übersetzt soviel heißt wie. „Zieh dich bloß um“. Aber andererseits stellt mir das Hospital hier keine Kleidung, daher werde ich einfach so bleiben müssen denke ich, auch wenn ich bereits charmant gefragt wurde, ob ich zum Cricket spielen verabredet bin.

Zusammenarbeit im Team

Im Krankenhaus sind viele Ärzte und Krankenschwestern aus Commonwealth-Nationen und die Teams dementsprechend echt international. Das macht mir wirklich Spaß und im Krankenhaus fühle ich mich durch meine Nicht-Muttersprachlichkeit nicht wirklich benachteiligt. Anfangs habe ich mich noch den PatientInnen gegenüber erklärt, aber jetzt bin ich einfach ich und es läuft echt gut.

Allgemein kann ich sagen, dass der Grundton hier allgemein etwas respektvoller, zugewandter, freundlicher und entspannter ist, als in deutschen Krankenhäusern. Ich habe mich schon so daran gewöhnt, genauso wie an die – wenn dann – subtil geäußerte Kritik oder die durch Oberärzte äußerst höflich formulierte „Bitte mir Feedback geben zu können, falls du das möchtest“, dass ich vor einigen Tagen innerlich richtig unangenehm zusammengezuckt bin, als mich ein indischer Arzt ganz direkt kritisiert hat „No, that’s not how you do it“. Autsch. Ich nehme das mal als Vorbereitungstraining, um mich wieder auf Deutschland einzustellen.

Einer meiner Lieblingsmitarbeiter ist übrigens der Clerk, der regelmäßig vorbeikommt, den Raum mit seiner positiven Art und seinem „How are you doing? I hope you are having a great Day“ den Raum zum Strahlen bringt und dir dabei ganz tief in die Seele schaut. Er wirkt immer total offen und wechselt mit jedem Mitarbeiter ein paar Sätze.

Lernen und Weiterbildung

Ich kann die tolle Lehre wirklich nicht genug loben: viel Patienten-Kontakt, Lernen am Krankenbett mit 1:1 Betreuung von ÄrztInnen. Und das macht Spaß. Die ÄrztInnen haben sich durchgehend Zeit genommen, mir alles zu erklären und waren dabei immer sehr freundlich und geduldig. Ich merke, dass ich in den letzten Wochen strukturierter geworden bin. Und ich habe gelernt, noch medizinisch-schematischer an PatientInnen heranzutreten. Dabei hat mir der „britische“ Pragmatismus die kurze, bündige Darstellung komplexer Sachverhalte genauso geholfen, wie die Zugänglichkeit und Freundlichkeit aller Mitarbeitenden, die mir viel Raum zum selber ausprobieren gegeben haben.

Seminare fanden jeden Mittwoch statt, eigentlich für die F1 und F2 (Foundation Year 1 and 2) Ärzte. Trotzdem war ich  immer herzlich eingeladen, mich dazuzusetzen und mitzumachen. Die Seminare waren dabei immer sehr interaktiv – typisch britisch eben.

Als Elective Student in der Notaufnahme arbeitet man hier übrigens im regulären Schichtdienst mit. Es gibt Morning, Day, Twilight und Night-Shifts. Letztere gehen von 22:00 – 08:30. Als Studentin reicht es zwar, 3 Schichten hintereinander zu machen, aber ich habe kaum Nachtschicht-Erfahrung. Dementsprechend hatte ich echt Respekt davor, zumal man auf der Notaufnahme ja auch durcharbeitet und sich nicht zwischendurch hinlegen kann. Trotz Erkältung und nur 4 h Schlaf innerhalb der ersten 48h habe ich das aber letztendlich doch erstaunlich gut wegstecken können und bin dankbar über diese Erfahrung.

Kulturelle Unterschiede

Neben den schon genannten Punkten zur Kommunikation, der britischen Indirektheit und Höflichkeit, war ich doch überrascht, die unterschiedliche Handhabe der Privatsphäre der PatientInnen zu erleben. Die PatientInnen lässt man hier nämlich deutlich häufiger angezogen, als in Deutschland. Die meisten ÄrztInnen führen die Auskultation (und Palpation zum Teil auch) sogar durch das angezogene T-Shirt durch. Kein Vergleich zu Deutschland, wo das Leitmotto heißt „Keine Diagnose durch die Hose“. Aber „No diagnosis through the pants“ klingt eben einfach nicht so eingängig… Ich empfinde das einerseits als sehr respektvoll, andererseits aber auch als etwas ungewohnt umständlich. Dann wiederum habe ich allerdings im Nachtdienst erlebt, dass auf den Stationen in Mehrbettzimmern Männer und Frauen zum Teil zusammen liegen. Mehrbettzimmer gibt es zwar auch in Deutschland, aber dann doch streng nach Geschlechtern getrennt. Daher war das für mich schon ungewöhnlich.

Leben in Wales und Cardiff

Ich bin jetzt mal ganz ehrlich. Ich hatte Wales vorher nicht sooo auf dem Schirm. Klar, schon davon gehört und Aberfan ist auch allen die „The Crown“ gesehen haben in meiner Generation noch ein Begriff, aber ansonsten... Meinem Umfeld ging es da wohl genauso, gab es doch tatsächlich niemanden, der/die nicht ins Fettnäpfchen getreten ist und gefragt hat „Wann es denn nach England geht“. -Und ich so „Ne, ich gehe nach Wales“. Dieser Unterschied ist hier aber sehr wichtig. Die Waliser sind sehr stolz darauf, dass Wales ein eigenes Land ist (interessanterweise findet man bei Wikipedia auf englisch die Bezeichnung „Country, as part of the UK“ und auf deutsch nur „Landesteil Großbritanniens“) mit eigener Sprache. Und tatsächlich wird diese auch aktiv gelebt und gelehrt; hier ist alles zweisprachig und ca. 30% der Bevölkerung sprechen walisisch. In meiner ersten Woche stand ich in einem Shop und wartete an der Kasse und hörte plötzlich einen kleinen Jungen auf einer fremden Sprache mit seiner Mutter diskutieren (mutmaßlich über die Bonbons, die er gerne haben wollte). Ich konnte die Sprache zunächst überhaupt nicht zuordnen (klingt noch am ehesten etwas skandinavisch) und brauchte einige Sekunden um mich zu überwinden und zu fragen „Excuse-me, was that Welsh?“. Es gibt auch einen eigenen Fernsehsender, der nur auf walisisch sendet. Walisisch sprechen wäre sicherlich toll, aber ich habe es leider nicht wesentlich über die zwei Wörter "Heddlu" (Polizei) und "Araf" (langsam), welches immer auf den Fahrradwegen steht, hinausgeschafft.

Interessant wird es allerdings dann, wenn es um das Lieblingsthema der BritInnen geht: Fußball. Und da ich ja während der EM hier bin, wusste ich, dass ich da nicht drum herumkomme. Der ärgste Feind der Waliser ist nämlich der ungeliebte Nachbar und Eroberer England. Grundsätzlich schonmal und erst recht beim Fußball. Nun konnte sich Wales als Nation leider nicht für die EM qualifizieren und Rishi Sunak leistete sich einen mega Fauxpas, über den noch Wochen gesprochen wurde, wenn es darum ging, ob sich die Waliser auf die EM freuen würden. Die Frage wurde zunächst mit Schweigen und anschließendem „not so much because were not in it“ quittiert. Daher dachte ich, dass ich als Deutsche hier im Pub keine Probleme bekommen würde, frei nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“. Aber die meisten Waliser waren dann doch so pragmatisch, England anzufeuern und beim Spiel Dänemark gegen Deutschland (0:2) durfte ich mir so einiges anhören (britischer Humor ist manchmal doch etwas speziell).

Zum Abschluss nochmal kurz und knackig einen Satz zu Cardiff selbst: schöne kleine Stadt, studentisch, jung, offen und es gibt auf jeden Fall genug zu entdecken, sowohl hier als auch in der Umgebung. Wenn man wandern will, empfiehlt es sich ein Auto zu haben. Die umliegenden Städte, Bristol, Exeter, Oxford oder London, sind aber alle sehr bequem mit der Bahn oder dem Bus zu erreichen.

Ach ja und wichtiges Learning: Cream Tea ≠ Afternoon Tea … ;)

Ich habe meine Zeit hier sehr genossen und nehme nicht nur viele wertvolle Erfahrungen, sondern auch eine große Portion walisische Herzlichkeit und Humor mit nach Hause.

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