Zellfreie Proteinsynthese: Hochaktives Hirudin aus dem Blutegel zellfrei hergestellt

Forschung
Blutegel bei ihrem Hochzeitstanz im Aquarium, ©Phil-Lukas
Blutegel bei ihrem Hochzeitstanz im Aquarium, ©Phil-Lukas
Auch bei Pferden können verschiedene Krankheitsbilder mit einer Blutegeltherapie behandelt werden. ©Phil-Lukas
Auch bei Pferden können verschiedene Krankheitsbilder mit einer Blutegeltherapie behandelt werden. ©Phil-Lukas

Blutegel saugen nicht nur Blut, sie geben auch Wirkstoffe an ihre Wirte ab. Seit Jahrtausenden nutzen Menschen Blutegel therapeutisch bei verschiedenen Erkrankungen, um Schmerzen oder Entzündungen zu lindern. Der sogenannte medizinische Blutegel, Hirudo medicinalis, ist dabei die bekannteste Art. Trotz seines Potentials fristet er in der Medizin ein Nischendasein. Das Hauptaugenmerk liegt momentan auf dem vom Blutegel produzierten Wirkstoff Hirudin, welcher heute ein Sammelbegriff für die zahlreichen Varianten der Substanz ist. Dabei sind alle diese Varianten in der Lage, über eine Hemmung von Thrombin die Blutgerinnung sehr effektiv zu unterdrücken.1

Klassische und zellfreie Produktionsmethoden
Hirudin wird bereits in lebenden Zellen des Hefepilzes Saccharomyces cerevisiae oder des Bakteriums Escherichia coli als Arzneimittel produziert. Diese klassischen Systeme, die mit lebenden Zellen oder Organismen arbeiten, unterliegen allerdings oft erheblichen Limitierungen. Zum einen muss immer ein Stoff- und Energieeintrag für die Aufrechterhaltung des Stoffwechsels aufgewendet werden, zum anderen sind viele Endprodukte reaktiv und schaden damit dem System in höheren Konzentrationen. Die zellfreie Bioproduktion nutzt dagegen ausschließlich die für die Synthese notwendigen subzellulären Komponenten und umgeht diese Einschränkungen der lebenden Zellen. Daher können in zellfreien Systemen Proteine mit völlig neuen Eigenschaften entwickelt und effizient produziert werden. Kürzlich haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Potsdam am Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse des Instituts für Zelltherapie und Immunologie (Fraunhofer IZI-BB), die zellfreie Bioproduktion erfolgreich eingesetzt, um Hirudin außerhalb lebender Zellen herzustellen.

100-fach höhere Wirksamkeit
Auf der Suche nach einem für Hirudin geeigneten Ausgangsmaterial wurden zellfreie Proteinsynthese-Systeme unterschiedlicher eukaryotischer Zelllinien, die ursprünglich aus Hamstern, Insekten oder Menschen stammen, getestet. Die mit Abstand höchste inhibitorische Wirksamkeit erreichte das Hirudin, welches im Lysat der humanen Zelllinie K562 synthetisiert wurde. Dabei erreichten die Forschenden mit der zellfreien Synthese eine bis zu 100-fach höhere Wirksamkeit des Hirudins, verglichen mit der Herstellung in Escherichia coli.

Auf der Suche nach neuen Wirkstoffen aus dem Blutegel
Die zellfreie Synthese des Hirudins legt den Grundstein für die zukünftige Erforschung weiterer Wirkstoffe. Im Speichel des medizinischen Blutegels konnte eine große Anzahl von Proteinen identifiziert werden, die sich als potentielle Wirkstoffe eignen. In der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jan-Peter Hildebrandt an der Universität Greifswald wurden von Dr. Phil Lukas und Dr. Christian Müller bereits viele zugehörige Gensequenzen entschlüsselt, so dass diese Faktoren künftig auf einen medizinischen Nutzen hin überprüft werden können. Von besonderem Interesse neben Hirudin ist hierbei die von den Greifswalder Forschern neu entdeckte Klasse der Hirudin-ähnlichen Faktoren, deren Wirkung und biologische Funktion noch weitgehend unbekannt sind. Das genetische Potenzial zur Bildung dieser Faktoren konnte sogar auch in manchen Egeln gefunden werden, die sich nicht von Blut ernähren. Um die potenziellen Wirkstoffe aus den Gensequenzen effizient und schnell herzustellen, bietet die in der Abteilung von Dr. Stefan Kubick vom Fraunhofer IZI-BB entwickelte Plattformtechnologie der zellfreien Proteinsynthese viele Vorteile. „Mittels Aktivitätstests, welche direkt und unmittelbar nach der Herstellung der Proteine, ohne zeitaufwendige Reinigungsschritte, durchgeführt werden, können die synthetisierten Proteine auf ihre Aktivitäten hin untersucht und so potentielle Wirkstoffkandidaten identifiziert werden“, so Dipl.Ing. Doreen Wüstenhagen, Leiterin der Arbeitsgruppe „Eukaryotische Lysate“ am Fraunhofer IZI-BB.

Lysate für die zellfreie Synthese
Lysate entstehen durch vorsichtiges Aufbrechen von Zellen in geeigneten Pufferlösungen, in welchen sich die für die Proteinsynthese funktionsfähigen Zellbestandteile befinden. Dabei werden unter anderem kapselartige Gebilde – die mikrosomalen Vesikel – gewonnen, welche u.a. mit Transmembrankanälen ausgestattet sind. Durch diese Kanäle (Translokon) werden die synthetisierten Proteine aktiv in das Innere der Vesikel eingeschleust, wo die Proteine komplex gefaltet werden können. Das ist besonders für Hirudin wichtig, da es, was die Faltung angeht, sehr empfindlich hinsichtlich seiner inhibitorischen Wirksamkeit ist.

Weitere Informationen
Wüstenhagen, D.A., Lukas, P., et al. Sci Rep 10, 19818 (2020). Cell-free synthesis of the hirudin variant 1 of the blood-sucking leech Hirudo medicinalishttps://doi.org/10.1038/s41598-020-76715-w

Quelle
Dies ist eine gemeinsame Medieninformation des Fraunhofer IZI-BB und der Universität Greifswald.

Kontaktadressen

Dr. Sarah Dölle
Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie
Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse 
Am Mühlenberg 13, 14476 Potsdam-Golm
sarah.doelleizi-bb.fraunhoferde 
www.izi-bb.fraunhofer.de

Prof. Dr. Jan-Peter Hildebrandt
Universität Greifswald
Zoologisches Institut und Museum
Felix-Hausdorff-Straße 1, 17489 Greifswald
jphuni-greifswaldde
www.zoologie.uni-greifswald.de 

 

Medieninformation


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