Alkohol- und Tabakkonsum rückläufig, Fettleibigkeit und Diabetes nehmen stark zu – Neue Ergebnisse der Gesundheitsstudie SHIP

Forschung
Eine Untersucherin nimmt einen Ultraschall von der Schilddrüse vor.
Ultraschall von der Schilddrüse, hier mit der Untersucherin Karen Salewski. © UMG/Annina Rehbein, 2022

„Für das international stark nachgefragte Gesundheitsprojekt ist das ein Meilenstein“, betonte der Studienleiter Prof. Dr. Henry Völzke vom Institut für Community Medicine an der Universitätsmedizin Greifswald. „Wir sind allen teilnehmenden Frauen und Männern in Vorpommern sehr dankbar für ihre Bereitschaft, unser Projekt zu unterstützen. Nur durch dieses persönliche Engagement konnten wir erfolgreich forschen und zahlreiche Verbesserungen in der medizinischen Versorgung erzielen.“

Über die Jahre hat sich SHIP zu dem Projekt mit dem umfangreichsten Untersuchungsprogramm in einer großflächigen Region entwickelt. Die erste Studie (SHIP-START-0) von 1997 ist bereits viermal intensiv nachuntersucht worden (SHIP-START-0,-1,-2,-3,-4). So sind einige Probandinnen und Probanden der ersten Bevölkerungsgruppe bereits fünfmal gründlich durchgecheckt worden. Die Folgeuntersuchungen finden jeweils ungefähr alle fünf Jahre statt.

Die zweite Studie aus dem Jahr 2008 (SHIP-TREND-0) wurde auch schon zum zweiten Mal untersucht (Trend-0-1). Vor zwei Jahren startete die dritte Bevölkerungsstudie (SHIP-NEXT-0) in den Landkreisen Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald. Zusätzlich zu vielen neuen Untersuchungen wird seitdem erstmals auch die Gesundheit der Haus- und Nutztiere der Teilnehmenden einbezogen. Das Fördervolumen der aktuellen Studienwelle mit der dritten SHIP-Bevölkerungsgruppe beträgt 8,8 Millionen Euro bei einer Laufzeit von vier Jahren.

„Das SHIP-Projekt hat neue Maßstäbe gesetzt und war einer der zentralen Faktoren bei der Einwerbung des William B. Kannel Center for Community Medicine“, hob der Wissenschaftliche Vorstand der Universitätsmedizin Greifswald, Prof. Dr. Karlhans Endlich, hervor. „Der Forschungsneubau von nationaler Bedeutung mit einem Investitionsvolumen in Höhe von 65,6 Millionen Euro, der in vier Jahren eingeweiht werden soll, wird die epidemiologische, die Präventions- und die Versorgungsforschung am Wissenschaftsstandort Greifswald weiter stärken. Schon jetzt sind fast alle Kliniken und Institute der Universitätsmedizin in die exzellente Forschung eingebunden. Gemeinsam konnten wir auch die schwierigste Phase der Studie während der Coronapandemie meistern.“ Das Forschungszentrum wird nach dem amerikanischen Wissenschaftler William B. Kannel (1923–2011) benannt, der über viele Jahre die Framingham-Studie, das erste Bevölkerungsprojekt weltweit, leitete.

Langzeitstudie deckt Risiken und Nebenwirkungen auf

Seit dem Jahr 2000 wurden 1580 wissenschaftliche Publikationen mit SHIP-Daten international veröffentlicht. Nahezu alle Risiken und Nebenwirkungen des menschlichen Lebens können mit der umfangreichen Langzeitstudie aufgedeckt und erforscht werden. Mit Hilfe von SHIP erhobenen Daten wurden beispielsweise Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und komplexe Zusammenhänge zwischen Übergewicht, Depression und Hirnstrukturen gefunden und beschrieben. Im Fokus stand ebenso der Einfluss von Zahnerkrankungen auf die Allgemeingesundheit. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass entzündlicher Zahnfleischschwund aufgrund von Parodontitis unter anderem das Risiko für einen Herzinfarkt und Demenz erhöht. Festgestellt wurde auch, dass sich psychische Erkrankungen wie Depressionen und schwere seelische Traumata auf die allgemeine Gesundheit auswirken.

Darüber hinaus haben Untersuchungen von SHIP-Teilnehmenden im zeitlichen Verlauf gezeigt, dass im Zehn-Jahres-Zeitraum der Alkohol- und Tabakkonsum zwar zurückgegangen ist, aber Fettleibigkeit und Diabetes in Vorpommern deutlich zugenommen haben. Im Rahmen nationaler und internationaler Kooperationsprojekte, in denen auch SHIP-Daten eingeflossen sind, wurden unter anderem Risikogene für Gicht, Fettleber, Nierenkrankheiten oder Schilddrüsenfehlfunktion entdeckt. Auswertungen belegten ferner berufliche Einflüsse auf die Gesundheit, beispielsweise durch Strahlungs- und Asbestbelastung, Schichtarbeit oder dauerhaften Stress.

„Von Anfang an war uns wichtig, dass unsere Forschungsergebnisse sowohl der Wissenschaft als auch der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden“, unterstrich Studienleiter Prof. Dr. Henry Völzke. „Möglichst vielen Menschen weltweit soll unsere Arbeit zugutekommen.“

Stolz sind die Greifswalder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass ihre Erfahrungen und die etablierten Prozessabläufe des SHIP-Projektes auch in Brasilien (SHIP-Brazil), in Polen (PLUS Bialystok) und in der bundesweiten NAKO-Gesundheitsstudie sowie in vielen weiteren epidemiologischen Großprojekten berücksichtigt worden sind.

Ausblick: Wie geht es weiter?

Im Zusatzuntersuchungsmodul „One Health“ (Eine Gesundheit) werden seit Mai 2021 erstmalig auch Hunde, Katzen, Geflügel und Tauben sowie das Zusammenleben von Menschen und Tieren mit untersucht. Dabei soll erforscht werden, welchen Einfluss die Tierhaltung auf die körperliche und seelische Gesundheit des Menschen hat und inwiefern die Haltungs- und Fütterungsbedingungen des Tieres das Übertragungsrisiko von Infektionserregern verringern können. Bislang wurden 328 Tiere bei 173 Vor-Ort-Terminen von einer Tierärztin untersucht, darunter 107 Hunde, 157 Katzen, 64 Geflügel und Tauben. „Diese und weitere neue Untersuchungen innerhalb der dritten SHIP-Kohorte werden den Erkenntnisgewinn in der komplexen Beziehung zwischen Menschen und Tier nochmals deutlich erhöhen und auf eine neue Stufe heben“, erklärten die Leiterin des Greifswalder Untersuchungszentrums, Dr. Nicole Werner, und die One-Health-Projektkoordinatorin Dr. Birgit Schauer. Das umfasse auch die neuen Module mit einem intraoralen 3D-Scanner, um den Ober- und Unterkiefer sowie deren Lage zueinander zu dokumentieren, und eine Messung von Blickbewegungen mit einer Eye-Tracking-Kamera. Diese soll Aufschluss über die Reaktion der Teilnehmer auf unterschiedlich emotionale Bilder geben. Weitere neue Untersuchungen sind das Kopfschmerz-Interview, die Hirnstimulation, die Überwachung der Schlafaktivitäten sowie die Untersuchungen der Hände und Füße.

„Im ersten Quartal dieses Jahres kommt eine weitere Untersuchung dazu“, kündigte Dr. Nicole Werner an. „Gegenwärtig laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, um den Teilnehmenden künftig auch die Untersuchung des Hörvermögens (Audiometrie) und der Verständlichkeit von Sprache (Sprachaudiometrie) in der Audiometriekabine der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie der Universitätsmedizin Greifswald anbieten zu können. Die erste Untersuchungswelle von SHIP-NEXT-0 wird noch rund drei Jahre Zeit in Anspruch nehmen.

10 Fakten zur SHIP-Studie

  1. 24 266 Blutproben, 21 007 Urinproben, 6913 MRT-Untersuchungen, 19 213 Herz-Ultraschalls und 21 026 Schilddrüsen-Ultraschalls wurden bislang gemacht und ausgewertet.
  2. Kurze Wege – regionale Untersuchungszentren gab es bislang in Stralsund, Tribsees, Anklam und Wolgast, um den Probanden die Anfahrt zu erleichtern.
  3. Das insgesamt bis zu zwölfstündige Untersuchungsprogramm setzt sich aus einem Kernprogramm und Zusatzuntersuchungen zusammen. Dazu kommen Interviews, Befragungen und verschiedene thematische Fragebögen zum Selbstausfüllen.
  4. SHIP-Untersuchungen sind nur mit Einladung möglich; die Teilnehmenden werden nach dem Zufallsprinzip über die Einwohnermeldeämter ausgewählt und angeschrieben. Die Teilnahme ist freiwillig.
  5. Knapp 38 Prozent aller per Zufallsprinzip ausgesuchten menschlichen Probanden halten zumindest ein Tier der untersuchten Tierarten (Katzen, Hunde, Geflügel).
  6. Die Tiere der Probanden werden durch Tierärztinnen in ihrer häuslichen Umgebung untersucht. Zudem werden von den Tieren Abstriche und Blutproben genommen. Ergänzt werden diese Untersuchungen durch tierspezifischen Fragebögen und einem Vor-Ort-Interview.
  7. Die SHIP-Langzeitstudien tragen zur Bestimmung wichtiger Referenzwerte für Laboranalysen, körperliche Belastbarkeit und Organgrößen bei. Mit modernen bioinformatischen Verfahren werden aus den umfangreichen Informationen relevante Gesundheitsindikatoren herausgefiltert.
  8. In die SHIP-Datenerhebung fließen auch Erkenntnisse der infektionsepidemiologischen Studie „SHIP-COVID“ ein, die im November 2020 mit 1000 Probanden gestartet worden ist.
  9. Zum Greifswalder Untersuchungsteam gehören zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Studienschwestern, Interviewerinnen, Zahnmedizinische Fachangestellte) sowie wechselnde Zahnärztinnen und Zahnärzte aus der Unizahnklinik Greifswald.
  10. Die Abteilung SHIP/Klinisch-Epidemiologische Forschung am Institut für Community Medicine unterstützt mit mittlerweile 88 Mitarbeitenden (ohne Studierende) die SHIP-Datenerhebungen. Das Institut ist die größte Forschungseinheit der Universität Greifswald. SHIP-Daten werden mit nahezu allen Instituten und Kliniken der Universitätsmedizin Greifswald ausgewertet.

Überblick der Teilnehmenden je SHIP-Studienwelle 19972023

START | ab 1997 | 4308 (+ vier Folgeuntersuchungen 3300/2333/1718/1182)
TREND | ab 2008 | 4420 (+ eine Folgeuntersuchung 2507)
NEXT | ab2021 | 1272
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10 000 Probandinnen/Probanden (20 bis 79 Jahre*)
Folgeuntersuchungen finden auch im höheren Alter statt.

 

Quelle
Medieninformation der Universitätsmedizin Greifswald vom 12.01.2023

Ansprechpartner*innen an der Universitätsmedizin Greifswald

Institut für Community Medicine
Abteilung SHIP/Klinisch-Epidemiologische Forschung
Leiter: Prof. Dr. med. Henry Völzke
Walther-Rathenau-Straße 48, 17475 Greifswald
Telefon +49 3834 86 7541
ship-nextuni-greifswaldde
ship.community-medicine.de

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